Kapitel 3
Logbucheintrag 546 – Papow, Iwan – Lieutenant
Tag der Eintragung: 18. Oktober 2041
Zeit: 04:45
ZZugriffsebene: Gamme-9-Alpha-Omega-56445
Die Mission in Somalia war die größte Niederlage, die ich je in meiner Laufbahn unter Commander Slavik erleben musste. Viele meiner besten Freunde starben dort, und ich weiß bis heute nicht einmal durch wessen Hand… das Vertrauen von Slavik, dass ich mir in all den Jahren müßsam aufgebaut habe, ist mit einem Schlag zerstört worden.
Er schickt mich mit unseren letzten Truppenverbänden an den Indischen Ozean um einen Großangriff von feindlichen Splittergruppen abzuwehren… in meinen Augen gleicht dies einem Himmelsfahrtskommando! Doch das alle geschieht natürlich „im Name von Kane“… langsam kommen mir Zweifel auf… Ich kenne diesen Kane doch eigentlich überhaupt nicht! Alle im Stützpunkt reden immer von ihm, als wäre er der Messias oder ein Gott, doch die meisten Männer hier kamen erst während des Krieges gegen Cabal zur Bruderschaft. Sie kamen um für Slavik zu kämpfen, nicht für Kane! Kane ist für viele von uns nur ein alter Mann aus einer Zeit, als die meisten gerade mal in der Lage waren eine Waffe zu halten… Doch Slavik… er war einst die rechte Hand Kanes und predigt jeden Tag davon, dass „der Messias“ wieder zu uns kommen wird und die Bruderschaft erneut einen wird. Doch was haben uns die letzten zehn Jahre gebracht? Die Bruderschaft ist nicht mehr das, was sie früher einmal war. Anstatt gemeinsam gegen die GDI vorzugehen, verkriechen wir uns wie Tiere in Löchern und schlachten uns vor lauter Verzweiflung gegenseitig ab. Selbst Slavik scheint langsam sich von diesem Mythos abzukehren.
Ich sah die Verzweiflung auch in seinen Augen… Die Bruderschaft, wie sie sich Slavik vorstellt, ist schon lange Geschichte… Es sind nur noch wenigen Stunden bis zu meiner Abreise an den Indischen Ozean, doch ich kann nicht mit dem Gedanken schlafen, dass in mir eine Zeitbombe ruht… die Tiberiumvergiftung mag zwar in einer Art Tiefschlaf sein, doch Dr. Sanovich meinte, dass meine DNA jederzeit mit der Mutation beginnen könnte. Wer weiß… vielleicht ist die Küste Asiens das letzte vor mir liegende Schlachtfeld und ich muss nicht mehr länger in diesem dreckigen Loch auf die Rückkehr einer Märchenfigur warten…
18.Oktober 2041 – Ostküste Indiens: Fliegender Truppentransporter
„13:34:45“, stand auf der Uhr. Papow blickte durch den Truppentransporter. In mehreren Reihen drängten sich dort junge Soldaten und versuchten ihre Nervösität auf die eine oder andere Art unter Kontrolle zu bringen. Weiter hinten konnten man die Konturen eines Stealth-Panzers erkennen. „Das ist es also…“, dachte sich Papow, „das soll die Macht der Bruderschaft sein? Das sind keine Soldaten, das sind alles noch Kinder… die meisten von ihnen waren wohl noch nie auf dem Schlachtfeld oder wissen auch nur im Geringsten, was es bedeutet einen Menschen zu töten. Sie mögen zwar im Training gewesen sein, doch Krieg kann man nicht trainieren. Soll mein Leben etwa so enden?“ Ein Sergeant neben ihm riss ihn aus seinen Gedanken: „Sir? Wir erreichen in wenigen Minuten das Zielgebiet. Die Basis steht unter heftigen Artilleriebeschuss aus dem Norden.“ Mit einem leichten Nicken bestätigte Papow still die Information: „Artillerie? Wie viele dieser jungen Männer werden wohl den Tod finden für jemanden, der seit mehr als zehn Jahren tot ist…“
Eine laute Explosion erschütterte plötzlich den Transporter. „Was war das?“ – „Wir haben Feindkontakt, Sir!“, meldete sich der Pilot über die Komm-Anlage, „zwei Banshees haben unseren Konvoi entdeckt und haben das Feuer eröffnet. Unsere Banshees sind bereits auf Abfangkurs gegangen, doch wir müssen so schnell wie möglich landen. Ich kann für nichts garantieren…“ Sofort sprang Papow auf und wandte sich an die Soldaten: „Ihr habt es gehört, Leute! Macht euch bereit diesen Typen da unten in den Arsch zu treten! Das ist eure Chance, im Name von Kane!“ Normalerweise nahm er diesen Spruch nie in den Mund, doch bei diesen jungen Rekruten wirkte er immer noch wie ein Wunder. Es dauerte nur wenige Sekunden und alle standen mit voller Kampfausrüstung und mit der Waffe im Anschlag auf ihrer Position. „Bereit in die Schlacht zu ziehen.“, scherzte ein Soldat aus einer der hinteren Reihen. Eine weitere Explosion erschütterte den Transporter und ließ einige Lampen ausfallen. „Seid ihr alle bereit?“, versuchte Papow ein letztes mal die Truppe aufzumuntern, deren Kampfeswille durch die starken Erschütterungen langsam zu verblassen schien.
Mit einem lauten Knall striff der angeschlagene Transporter eine Hügelkuppe und krachte wenige Sekunden später auf einem freien Feld südlich der Basis in den Boden. Sofort sprangen die mechanischen Türen auf und die meist unverletzten Rekruten strömten hinaus auf das Schlachtfeld. Papow blickte sich langsam um. Der Himmel war durch die großflächigen Explosionen mit tiefschwarzen Wolken verhangen und tauchte das Geschehen in ein gespenstiches Licht. Am Waldrand lag ein weiterer Truppentransporter, der vermutlich beim Aufschlag in zwei Teile zerbrochen war und nun lichterloh ausbrannte. Man konnte noch vereinzelte Schmerzschreie von dort vernehmen, doch auch diese verstummten nach kurzer Zeit. Einige hundert Meter entfernt im Norden lagen die Mauern der Basis, die aus dieser Entfernung noch realativ intakt schienen. „Wir haben wohl Glück im Unglück.“, kommentierte der Sergeant hinter Papow, „Hier scheint es noch relativ ruhig zu sein. Die feindlichen Verbände konzentrieren ihre Truppen am westlichen und nördlichen Wall der Basis, Lieutenant!“ – „Dann sollten wir so schnell wie möglich in die Basis vordringen und mit der neuen Cabal-KI Kontakt aufnehmen.“, erwiderte Papow und gab den verbliebenen Soldaten ein Handzeichen zum Aufbruch.
Wenige Minuten später standen die Verstärkungstruppen vor dem Südtor der Basis. Das Tor hatte nur wenige Schäden abbekommen. „Corporal!“, Papow ging ein paar Schritte auf einen Soldaten zu, „Nehmen Sie ein paar Männer und versuchen Sie das Tor zu öffnen.“ Es war still geworden, zu still für Papows Geschmack. Aus der Ferne waren nur noch wenige Gewehrsalven zu hören. Er wollte gerade etwas zu trinken zu sich nehmen, als ein schwarzer Schatten am Horizont seine Aufmerksamtkeit erregte. Er schien näher zu kommen, doch durch die schwarze Wolken der brennenden Basis konnte man nur wenig erkennen. „Was zum Teufel…“, plötzlich erkannte Papow die Konturen am Himmel, „Alle Mann in Deckung. Orca-Bomber sind im Anflug. Sofort zurückziehen!“ Doch die Warnung kam zu spät. Mit einer lauten Explosion erschütterten die ersten Bomben den Boden rund um Papows Truppen. Staub wurde aufgewirbelt.
In letzter Sekunde konnte er zusammen mit einigen Soldaten Schutz hinter einem nahegelegenen Hügel suchen. Eine ganze Staffel Bomber warfen unter unvorstellbarem Lärm einen Bombenteppich nach dem anderen über der Südseite der Basis ab. Vereinzelt waren die Schreie verletzter Rekruten zu hören. Es dauerte einige Minuten bis sich der gröbsten Staub wieder gelegt hatte. „Was sucht dieser dreckige Abschaum von GDI hier!?“, schrie Papow seine ganze Wut hinaus. Langsam robbte er den Hügel nach oben, um sich ein Bild machen zu können: „Mein Gott…“, mehr brachte Papow momentan nicht aus seinem Mund. Die Landschaft war nicht mehr zu erkennen. Der nun schwarze Boden war von Einschlagskratern übersäht. Überall lagen die zerfetzten Körper seiner Rekruten.
Einige von ihnen lebten noch und versuchten sich unter qualvollen Schmerzschreien die stark blutenden Wunden zuzuhalten. Andere suchten nach ihrer Waffe um ihren Schmerzen ein Ende zu bereiten. „Was habe ich nur getan…“, Papow hielt sich die Hände vor das Gesicht als neben ihm Sergeant Jelvin auftauchte. „Lieutenant? Sind Sie verletzt? Ist alles in Ordnung?“ Papow versuchte sich wieder zu sammeln. „Die Orca-Bomber scheinen weg zu sein… Ich lasse gerade die verbliebenen Truppen sammeln. Sehen Sie? Bei diesem Angriff wurde fast der gesamte Südwall der Basis dem Erdboden gleichgemacht, wir sollten also unsere Mission fortsetzen, bevor die GDI noch mehr Truppen schickt!“ Papow nickte zur Bestätigung, stand langsam wieder auf und ging den Hügel hinunter.
Die Truppen waren erheblich dezimiert worden. Nur 45 unverletzte und leicht verletzte Soldaten konnte Papow noch zählen. Dieser unerwartete Angriff hatte mehr als 150 Männer den Tod gebracht. „Auch unter diesen erschwerten Bedingungen müssen wir unsere Mission ausführen!“, versuchte Papow die Moral wieder aufzubauen. Und dann musste er es wieder sagen: „Im Name von Kane!“ Es zeigte sich wieder einmal wie diese Parole selbst im Angesicht des Todes unter diesen Rekruten für Mut sorgte. „Sie wollen für Kane kämpfen… doch wollen sie auch für Kane sterben?“, fragte sich Papow.
Auch wenn man die Gesichter der Soldaten unter ihren schweren Helmen nicht erkennen konnte, so merkte man doch ihre Angst, als sich die Kompanie durch die Krater und abgerissenen Leichenteile einen Weg in die Basis bahnte. „Die Splittergruppen müssen es gewusst haben… sie müssen es gewusst haben…“, unterbrach einer der Soldaten die Stille, „diese Ruhe vor dem Bombenhagel… sie müssen es gewusst haben…“ – „Denken Sie darüber jetzt nicht nach, Soldat. Konzentrieren Sie sich auf die Mission.“, erwiderte Papow, doch innerlich merkte auch er, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Innerhalb der Mauern zeigte sich ein ähnliches Bild. Vermutlich durch den Artilleriebeschuss klafften auch hier überall große Löcher im Boden. Viele der Gebäude waren bereits zu großen Teilen eingestürzt. „Lieutenant? Ich empfange hier ein Signal… es kommt von dort drüben… aus dem Bauhof!“, meldete Sergeant Jelvin.